Was ist schädlicher für die Wirtschaft: die Erbschaftssteuer oder die Mehrwertsteuer? Diese Frage wird im Abstimmungskampf zur Erschaftssteuerinitiative kaum thematisiert. Dabei geht es gerade auch um diese Frage.
Bei einem Ja zur Erbschaftssteuer-Initiative gingen zwei Drittel des Ertrags an die AHV; ein Drittel bliebe beim betreffenden Kanton. Damit kämen schätzungsweise jährlich 2 Milliarden Franken der AHV zugute, wie der Bundesrat in seiner Botschaft zur Initiative schreibt. Wobei einzuräumen ist, dass für Familienunternehmen Sonderregelungen getroffen werden, was zu einem tieferen Betrag führen dürfte.
So oder so käme der Geldsegen für das wichtigste Vorsorgewerk der Schweiz zur richtigen Zeit: Das Parlament debattiert demnächst über das Reformpaket Altersvorsorge 2020. Mehrere Massnahmen
sind vorgesehen, um die AHV auf eine finanziell solidere Basis zu stellen.
Mehrwertsteuer für die AHV
Im Wesentlichen will der Bundesrat die Finanzierungslücken in der AHV mit der Mehrwertsteuer schliessen, um damit einen Leistungsabbau zu vermeiden. Vorgeschlagen wird eine Erhöhung der
Mehrwertsteuer um maximal 1,5 Prozentpunkte. Ein zusätzliches Mehrwertsteuerprozent bringt rund 3,5 Milliarden Franken in die Kasse.
Würde mit der Annahme der Initiative 2 Milliarden in die AHV-Kasse fliessen, müsste die Mehrwertsteuer statt um maximal 1,5 Prozentpunkte bloss um knapp 1 Prozentpunkt erhöht werden. Das müsste
eigentlich ganz im Sinne der Wirtschaft sein. «Eine Steuer auf grosse Erbschaften tut am wenigsten weh», sagte Michael Derrer in der SonntagsZeitung. Derrer ist Ökonom, Unternehmer und Dozent für
Volkswirtschaft an der Hochschule Luzern.
Ähnlich die Worte aus der Romandie: «Fast jede andere Steuer ist schädlicher als die Erbschaftssteuer», sagte der Lausanner Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart in der Handelszeitung. «Besser
wäre gewesen, simultan mit der neuen Erbschaftssteuer die Vermögens- oder die Mehrwertsteuer zu reduzieren. Oder die Lohnprozente für die AHV zu senken.»
Kein Einfluss auf den Konsum
Die Aussage des Ökonomen leuchtet ein: Wenn die Reichsten der Reichen einen Teil der Erbschaft dem Fiskus überlassen, wird dadurch kaum weniger konsumiert. Werden jedoch die Mehrwertsteuer und
damit die Konsumentenpreise angehoben, hat das eine dämpfende Wirkung auf den Konsum.
Bei einen Ja zur nationalen Erbschaftssteuer müssten die Bundesparlamentarier konsequenterweise in der AHV-Debatte eine geringere Mehrwertsteuer-Erhöhung beschliessen. Doch bürgerliche
Bundespolitiker lassen sich nicht auf die Äste hinaus. Zum einen wollen sie keine Argumente gelten lassen, die für die Erbschaftssteuer sprechen könnten. Zum andern gehen sie mehrheitlich davon
aus, dass das von Alain Berset vorgeschlagene Reformpaket in dieser Form ohnehin keine Mehrheit findet.
Geringerer Reformbedarf
Der grünliberale Nationalrat Thomas Weibel aus Horgen im Kanton Zürich gesteht, dass wohl eine Sanierung der AHV via Mehrwertsteuer weniger dringlich wäre, wenn die EVP-Initiative
angenommen würde. Für ihn sei das jedoch kein Grund, der Initiative zuzustimmen.
Auch die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer will sich nicht festlegen: «Falls die Erbschaftssteuer-Initiative angenommen wird (...) wird man die realen Auswirkungen auf
die AHV-Finanzierung detailliert anschauen müssen», erklärt die Ständeratskandidatin. Wo und wie allenfalls bei der AHV-Finanzierung danach Korrekturen nötig wären, könne seriöserweise erst
entschieden werden, wenn belastbare Zahlen vorlägen.
SVP-Generalsekretär Martin Baltisser erklärt, es sei überhaupt nicht klar, wie viel der AHV an Erbschaftssteuereinnahmen zufliessen. Zudem sei die SVP so oder so gegen eine Erhöhung
von Steuern und Abgaben für die Finanzierung der AHV.
«Eine schmerzlose Steuer»
Ganz anders sieht das die Winterthurerin Maya Ingold von der EVP — wie Thomas Weibel und Barbara Schmid-Federer ist sie Mitglied der Sozialkommission: «Sagen Sie mir eine Steuer, die
für die Wirtschaft weniger schmerzhaft ist als eine Erbschaftssteuer für Reiche». Für die EVP-Politikerin und Ständeratskandidatin ist klar, dass die nationale Erbschaftsteuer die
Problematik der AHV entschärfen würde. Ob sich das jedoch auf eine geringere Mehrwertsteuer-Erhöhung oder geringere Leistungskürzungen auswirken würde, lasse sich derzeit kaum prophezeien. Zu
kontrovers werde derzeit das Reformpaket diskutiert.
Und schliesslich die SP: Sie hofft auf ein Ja für ihre Initiative «AHVplus: für eine starke AHV», die in der kommenden Session behandelt wird. Danach sollten die AHV-Renten generell um 10 Prozent
erhöht werden. Die Ausgaben der AHV würden dadurch bis 2030 laut Bundesrat um jährlich 5,5 Milliarden Franken steigen. Um das zu finanzieren, reichte die von der EVP lancierte
Erbschaftssteuerinitiative bei weitem nicht aus. Und die Mehrwertsteuer müsste noch stärker angehoben werden, als das der Bundesrat vorschlägt.
Dieser Artikel ist in der BZ NICHT erschienen.