Je häufiger man fährt, je schlechter das Wetter, je gefährlicher die Routen, desto höher die Prämie. «Pay as You Drive» ist in den USA etabliert. In der Schweiz wollen die Versicherer
davon noch nichts wissen.
Bei keinem anderen Versicherungstyp sind bei der Prämienkalkulation so viele Kriterien zu berücksichtigen wie bei der Autohaftpflichtversicherung: Alter, Geschlecht, Kantonszugehörigkeit, Nationalität, Datum der Fahrprüfung, Fahrzeugtyp und einiges mehr bestimmen die Höhe der Versicherungsprämie. Solche risikogerechte Prämien gibt es seit der Liberalisierung des Versicherungssektors in den früheren Neunzigerjahren.
Dank dem technologischen Fortschritt liessen sich die Prämien für die Autoversicherung noch ausgeklügelter und risikogerechter kalkulieren, wie dies zumindest in den USA, in England und in
zunehmendem Masse auch in Italien getan wird. Der entsprechende Fachausdruck heisst «Pay as You Drive». Die Prämie variiert je nach Fahrgewohnheiten, Fahrgeschwindigkeiten und Fahrzeiten.
Wer mehr innerorts als auf Autobahnen unterwegs ist, geht geringere Risiken ein, deshalb kommt ihn die Versicherung günstiger zu stehen. Bei Schneefall lässt man den Wagen lieber in der Garage,
sonst wird es teuer, auch wenn man den Wagen schadlos durch den Schnee zu manövrieren vermochte.
Der Markt ist noch nicht reif
In der Schweiz ist «Pay as You Drive» noch Zukunftsmusik. «Ich glaube nicht, dass ‹Pay as You Drive› in naher Zukunft in der Schweiz eingeführt wird. Der Markt ist nicht reif dafür. Der
grösste Teil der Kunden wünscht dies heute nicht», sagte Marcel Siegrist dieser Zeitung (Ausgabe vom 10. Februar 2015). Siegrist muss es wissen: Er ist Leiter Produkte Privatkunden beim
Marktführer Axa Winterthur. Unter «naher Zukunft» meint er mindestens fünf Jahre.
Ähnliche Worte hört man in Wallisellen: «Der Markt ist noch nicht reif. In absehbarer Zeit werden wir ‹Pay as You Drive› nicht einführen», sagt Sebastian Lutz, Produktmanager von Allianz Suisse.
Für Thomas Trachsler ist «Pay as You Drive» nicht das Gelbe vom Ei. «Das wäre die totale Entsolidarisierung», sagt der Vertriebschef der Mobiliar, des drittgrössten Autoversicherers in der
Schweiz. Ein Problem liege zudem darin, dass der Versicherte nicht nachvollziehen könne, aufgrund welcher Kriterien er so und so viel bezahlen müsse. Die Autohaftpflicht sei zwar keine
Sozialversicherung, aber immerhin obligatorisch. Deshalb sei es fragwürdig, das Solidaritätsprinzip vollständig auszuhebeln.
In Deutschland wie in der Schweiz melden sich auch die Datenschützer zu Wort: «Durch die Aufzeichnung der Fahrzeugdaten wird ein Grad der Transparenz erreicht, der bei vielen Datenschützern die
Alarmglocken läuten lässt», schrieb die deutsche «Autozeitung» vor gut einem Jahr. Der mangelnde Datenschutz sei auch ein Grund, warum derzeit noch wenige deutsche Versicherungen die «Pay
as You Drive»-Tarife anböten.
Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte äusserte sich schon 2008 zu diesem Thema. «Die Sammlung ereignisunabhängiger Verhaltensdaten darf nicht zu einem gläsernen Fahrer führen», schrieb er.
Genau so wenig dürfe ein komplettes Bewegungsprofil des Fahrers erhoben werden.
Wandel sorgt für Unsicherheit
Die Versicherer dürften mit der Einführung dieser Telematik-Technologie auch deshalb zurückhaltend sein, weil niemand so richtig weiss, wie sich der Autoversicherungsmarkt entwickeln wird. Der
«Tages-Anzeiger» verwies kürzlich auf eine Studie von Morgan Stanley und Boston Consulting. Darin wird für die Versicherungswirtschaft ein starker technologiegetriebener Wandel
vorhergesagt. Als Folge davon sollen die Autoprämien um 15 bis 25 Prozent schrumpfen. Und wenn Martin Strobel recht behalten sollte, dass bis in zehn Jahren auf Schweizer Autobahnen
mindestens 50 Prozent der Autos führerlos unterwegs sein sollen, wie das der Konzernchef der Versicherungsgruppe Baloise kürzlich prophezeite, so erscheint verständlich, dass die Versicherer mit
kostspieligen Experimenten zurückhaltend sind.
Statt «Pay as You Drive» setzt Marktführer Axa Winterthur auf «Pay How You Drive». Ein Fahrtenschreiber, genannt Drive Recorder, zeichnet das Fahrverhalten während der ganzen Fahrt auf. Dies im Unterschied zum Crash Recorder, der nur die 30 Sekunden vor einem Unfall registriert. Freilich ist der Drive Recorder bei Axa nur bis Alter 25 zu haben.
Allianz Suisse setzt auf die Helpbox, deren Funktionalität über die eines Crash Recorder hinausgeht. Mit einem automatisches Notrufsystem werden bei schweren
Unfällen
sofort die Rettungskräfte alarmiert. Der Standort kann via GPS exakt geortet werden, damit die Rettungskräfte möglichst schnell
am Unfallort eintreffen.
Die Mobiliar geht einen anderen Weg: «Wir wollen Kunden belohnen, namentlich die Jugendlichen, die Fahrsicherheitstrainings absolvieren. Wir machen Prävention, indem wir die
Ausbildung fördern», erklärt Thomas Trachsler, Vertriebschef beim drittgrössten Autoversicherer der Schweiz.
Erschienen in der BZ am 31. März 2015