Jeweils gegen Ende Oktober gehts los mit dem Reigen der Prognosen für das kommende Jahr. Banken für Banken laden zum Outlook. Die meisten erzählen dasselbe. Sie erklären, weshalb Aktien trotz
rekordhoher Kurse attraktiv seien. Sie sagen, es gebe schlicht keine Alternativen. Und sie verraten, in welcher Branche in welcher geografischen Region sie das grösste Potenzial
orteten.
Erst letzte Woche lud auch Raiffeisen Schweiz zur Medienkonferenz. Allfällige Befürchtungen eines Dejà-vue erwiesen sich aber als unbegründet. Chefökonom Martin Neff hielt kein Plädoyer für Dividendenpapiere. Vielmehr wies er darauf hin, was einigen womöglich nicht bewusst ist und viele andere verdrängt haben. «Nine fifteen ist noch nicht ausgestanden».
«Nine fifteen» ist zumindest in Finanzkreisen ein stehender Begriff: Am 15. September 2008 musste die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Konkurs anmelden. Dies war der Startschuss einer
neuen Ära — der Ära der Geldhüter.
Die US-Notenbank, die Europäische Zentralbank wie auch die Schweizerische Nationalbank liessen die Gelddruckmaschinen anwerfen und überschwemmten den Markt mit Liquidität. Damit verliess die
Geldpolitik laut Martin Neff «den Pfad der Tugend, begnadigt die öffentlichen Schuldner, finanziert die öffentlichen Haushalte und stimuliert die Finanzmärkte». All das hat Nebenwirkungen. «An
den Finanzmärkten hat sich eine riesige Blase aufgebaut», sagt der Raiffeisen-Ökonom.
Während die Notenbanker gemeinhin als Retter der Not verehrt werden, äussert Martin Neff eher kritische Worte: «Dass die monetäre Ambulanz sechs Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehmann Brothers
noch immer regelmässig vorfahren muss, ist kein Erfolgsnachweis für die Währungshüter». Wenn ständig neue Massnahmen beschlossen würden, bedeute das, dass die alten nicht
funktionieren.
Die ernüchternde Diagnose des Chefökonomen: «Die monetäre Ambulanz ist noch immer vor Ort, das Warnlicht blinkt, nur die Sirenen sind abgeschaltet».
Erschienen in der BZ am 13. Januar 2014