«Der Euro - Fehlkonstruktion oder Voraussetzung für ein starkes Europa?» Zu diesem Thema sprach in Zürich Theo Waigel, der ehemalige Finanzminister Deutschlands.
Ein Konstruktionsfehler des Euros liegt darin, dass entwicklungschwächere Länder wie Griechenland oder Portugal ihre Währung nicht abwerten können, um auf dem internationalen Markt
wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies ist zumindest die Meinung prominenter Ökonomen. Niemand wird aber erstaunt sein, dass Dr. iur Theo Waigel diese Einschätzung nicht teilt, schliesslich wird der
ehemalige Finanzminister Deutschlands mitunter als Vater des Euro betitelt. Auf Einladung von Swisscanto sprach der 75-jährige Bayer am Donnerstagabend im Marriott in Zürich zum Thema «Der
Euro - Fehlkonstruktion oder Voraussetzung für ein starkes Europa?»
Ökonomen werden immer behaupten, die Entstehung des Euros sei politisch und nicht wirtschaftlich motiviert gewesen. Theo Waigel, der in zweiter Ehe mit der ehemaligen Skirennläuferin Irene Epple
verheiratet ist, erlag nicht der Versuchung, diese Haltung zu hinterfragen. Er verwies auf all die aktuellen Brandherde östlich und südöstlich der EU und stellte die rhetorische Frage: Was
unterscheidet das Europa von 1914 vom Europa von heute? «Es gab damals keine Friedensstruktur wie sie heute die Europäische Union darstellt», so Waigel, dessen älterer Bruder 18-jährig im
Zweiten Weltkrieg gefallen war. Womit aber keineswegs bewiesen ist, dass es für den Frieden in Europa eine EU braucht.
Der Politiker Waigel sieht im Euro auch wirtschaftliche Vorteile: Er erinnerte an das Europäische Währungssystem (EWS), das 1979 von Valéry Giscard d’Estain und Helmut Schmitt konzipiert wurde.
Die Notenbanken hatten dafür zu sorgen, dass der Wechselkurs innerhalb fixer Bandbreiten fluktuierte. Dazu mussten sie wiederholt mit ernormen Stützungskäufen ihre Währung gegen Spekulanten
verteidigen, ähnlich wie das heute die Schweizerische Nationalbank tun muss, um den Eurokurs nicht unter 1.20 Franken sinken zu lassen. «Jetzt kann ich es sagen: 1993 musste die Deutsche
Bundesbank 19 Milliarden Mark aufwenden, um den französischen Franc zu retten». Und selbstverständlich erinnerte Waigel ans Jahr 1992, als Grossinvestor George Soros das britische Pfund als
überbewertet betrachtete und dermassen gegen die britische Währung spekulierte, dass die Thatcher-Regierung kapitulieren und den Währungsverbund verlassen musste.
«Wir hatten in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren unzählige Währungskrisen». sagte Waigel, Heute ist er überzeugt, dass nach der Finanzkrise die europäischen Länder ohne Euro der
Währungsmacht USA und der kommenden Währungsmacht China völlig ausgeliefert gewesen wären. Wie sich das konkret ausgewirkt hätte, liess der Bayer offen.
«Es gibt intelligente Leute in Deutschland», meinte Waigel ironisch, die möchten die Euro-Zone aufteilen. Deutschland, Holland, Österreich, Finnland wären in der einen Zone. Frankreich und die
südlichen Länder in der anderen Zone. «Ich halte das für eine Katastrophe. Das wäre das Ende der deutsch-französischen Freundschaft». Da sprach wieder der Politiker.
«Der Euro war kein Geburtsfehler. Aber es gab danach ein paar schwere Erziehungsfehler». Einer ist die Sünde, dass Deutschland und Frankreich den Stabiltätspakt brachen und die
Maastricht-Kriterien nicht einhielten. Der zweite ist die Aufnahme Griechenlands. Waigel wäre nicht Waigel, hätte er seine Rede nicht mit würzigen Anektoten gespickt. 1998 soll der griechische
Finanzminister verlangt haben, dass die Euro-Noten auch mit griechischen Buchstaben beschriftet werden müssten. Waigel wörtlich: «Vergiss Deine Hieroglyphen – Griechenland wird nie in den
Euro-Verbund aufgenommen». Waigel legte in Zürich wert darauf zu betonen, dass die Griechen erst aufgenommen wurden, als er nicht mehr Deutschlands Finanzminister war. Doch immerhin zollte er den
Griechen einen gewissen Respekt, da sie es schafften, erstmals kein Haushaltsdefizit auszuweisen. Mehr Sorgen bereiten ihm Frankreich und Italien, die wenig Willen zu Reformen zeigten.
Es sei unsinnig zu glauben, man könne ein Land aus dem Euro-Verbund werfen, wie das im Fall Griechenlands etwa gefordert wurde. Die Griechen verglich Waigel mit einem blinden Passagier auf dem
Hochseedampfer, der sich zwei Tage im Heizungsraum versteckte, um sich dann aufs Deck zu begeben und zu sagen: Hier bin ich. «Was macht man in einem solchen Fall? Man kann den Mann nicht über
Bord werfen».
Erschienen in der BZ am 8. November 2014