Als Folge der neuen Spitalfinanzierung ist die Zusatzversicherung «Allgemeine Abteilung ganze Schweiz» in den meisten Fällen überflüssig geworden. Doch mangels Transparenz kann man schlecht abschätzen, wieweit man in Zukunft um die Versicherung froh sein könnte.
Das Krankenversicherungswesen in der Schweiz funktioniert nach dem Motto: je komplizierter und intransparenter, desto besser. Aktueller Beweis ist die Spitalversicherung «Allgemeine Abteilung
ganze Schweiz». Wenn man nicht versteht, wieweit man über eine bestimmte Versicherungsdeckung in Zukunft froh sein könnte, ist man eher geneigt, zur Sicherheit die Prämien zu zahlen. Sicher ist
sicher.
Lukas-Klinik statt Regiospital?
Zur Erinnerung: Die Zusatzversicherung «Allgemeine Abteilung ganze Schweiz» war bis Ende 2011 höchstens für Leute sinnvoll, die sich nicht im Wohnkanton behandeln lassen wollten. Für Bernerinnen
und Berner gibt es keinen ersichtlichen Grund, weshalb sie ein ausserkantonales Spital der Insel, dem Sonnenhof oder einem Berner Regionalspital vorziehen sollten. Es sei denn, man schwört zum
Beispiel auf anthroposophische Medizin und will sich in der Lukas-Klinik in Arlesheim im Kanton Baselland behandeln lassen.
Nun ist 2012 die neue Spitalfinanzierung in Kraft getreten. Danach sind Grundversicherte nicht nur für Spitalbehandlungen im Wohnkanton versichert, sondern in Listenspitälern der gesamten
Schweiz. Der Kanton übernimmt 55 Prozent und die Krankenkasse 45 Prozent der Spitalkosten. Leider hat dieser Grundsatz einen Haken: Der Kanton zahlt nur so viel, wie er bei Behandlungen im
eigenen Kanton auch bezahlen müsste. Ist der Tarif im ausserkantonalen Spital höher als im Wohnkanton, so muss der Versicherte oder eben seine Spitalversicherung die Differenz berappen. Milchkuh
begnadigt Ohne diese Differenzzahlung wäre besagte Zusatzversicherung obsolet geworden. Doch die Krankenkassenlobby in Bundesbern hat es geschafft, ihre Milchkuh vor dem Gang auf die Schlachtbank
zu bewahren. Denn die Zusatzversicherung «Allgemeine Abteilung ganze Schweiz» ist für die Kassen trotz der tiefen Prämien lukrativ: Jeder hat sie, keiner braucht sie.
In Bundesbern erhielten die Kassen Unterstützung von Ständeräten. Kantone mit günstigeren Spitälern wollten nicht für die höheren Kosten aufkommen, wenn sich ihre Bewohner in einem teuren Spital
eines anderen Kantons behandeln lassen. Doch welcher Tarif gilt? Spitäler innerhalb eines Kantons haben nicht immer einheitliche Tarife. Die kantonalen Gesundheitsbehörden bestimmen deshalb einen
oder mehrere Referenztarife. Möchte also der Patient wissen, ob er für eine ausserkantonale Spitalbehandlung vollumfänglich über die obligatorische Krankenversicherung versichert ist, muss er den
Referenztarif seines Kantons und den Basispreis des gewünschten Spitals ausfindig machen. Der Basispreis ist der Betrag, der bei der Berechnung der Fallpauschalen zugrunde gelegt wird.
Die oben erwähnte Lukas-Klinik in Arlesheim beispielsweise hat einen Basispreis von 9650 Franken. Er liegt somit unter dem Berner Referenztarif von derzeit 9870 Franken. Auch in den Spitälern im
Kanton Solothurn liegen die Tarife unter dem Referenzwert des Kantons Bern. Will heissen: Bernerinnen und Berner können sich dort ohne Aufpreis behandeln lassen.
Teure Freiburger Spitäler
Anders verhält es sich in Freiburg: Bei einem stationären Aufenthalt in einem der sechs öffentlichen Spitäler entfallen für Bernerinnen und Berner Zusatzkosten. Der Basispreis im Kanton Freiburg
liegt über dem Referenztarif des Kantons Bern. Je schwerer der Fall, desto höher der Anteil der Kosten, den der Patient oder dessen Zusatzversicherung zu tragen hat. Dank dem hohen Freiburger
Referenztarif von 10800 Franken könnten also die Deutschfreiburger in einem Berner Spital liegen und müssten keine Differenzzahlung leisten. Einzig im Inselspital müssten sie draufzahlen, sofern
der operative Eingriff im Kanton Freiburg auch durchgeführt werden könnte. Der Basispreis im Inselspital liegt mit 11200 Franken über dem Freiburger Referenztarif von 10800 Franken.
Heute billig, morgen teurer?
Das ist bereits kompliziert genug. Es wird noch komplizierter, weil die Referenztarife nicht in Stein gemeisselt sind. Sie können von Jahr zu Jahr verändert werden. «Ich empfehle den
Versicherten, die Deckung der Spitalversicherung ‹Allgemeine Abteilung› nicht zu kündigen», meint Verena Nold, Direktorin vom Kassenverband Santé-suisse. Man wisse nie, in welche Richtung sich
die Spitaltarife in Zukunft veränderten. Der Kanton Bern liefert den Beweis: Er hat den Referenztarif für nichtuniversitäre Spitäler auf kommendes Jahr gesenkt, von 9870 auf 9690 Franken. Das
bedeutet, dass ausserkantonale Spitäler bei gleich bleibendem Basispreis dadurch im Verhältnis teurer werden und der Kanton Bern einen geringeren Kostenanteil übernehmen muss, falls Berner
«fremdgehen».
Noch eine Einschränkung: Lässt sich der Berner etwa im Zürcher Universitätsspital operieren, weil die entsprechende Behandlung im Kanton Bern nicht angeboten wird, so spielt das Gesagte keine
Rolle, dann sind die Kosten via Grundversicherung so oder so gedeckt. Das gilt heute und galt schon vor Inkrafttreten der neuen Spitalfinanzierung.