Die Raiffeisenbanken im Kanton Bern verzeichnen bei der Vergabe von Hypotheken ein stärkeres Wachstum als die übrigen Banken. Doch die Unterschiede zwischen den einzelnen Genossenschaften sind enorm.
Die Raiffeisenbanken stehen im Ruf, auf dem Hypothekarmarkt aggressiver zu sein als die Konkurrenz. Peter Hunziker wiegelt ab: «Wir wollen nicht Wachstum um jeden Preis», sagte der Präsident des Berner Verbands der Raiffeisenbanken am Mediengespräch von Ende Januar.
Jetzt, nachdem sämtliche 22 Raiffeisen-Genossenschaften im Kanton Bern den Geschäftsbericht 2012 im Internet aufgeschaltet haben, sieht man klarer: Die Bilanzsumme der im Verband angeschlossenen
Raiffeisenbanken stieg um 4,7 Prozent. Das ist fast doppelt so viel wie bei den 18 übrigen Banken im Kanton, deren Zahlen vor zwei Wochen an dieser Stelle publiziert wurden. Auch bei den
Ausleihungen, womit im wesentlichen die Hypotheken gemeint sind, wachsen die Raiffeisenbanken mit 3,7 Prozent stärker als der Markt. Bei den Regionalbanken beträgt das Plus ungewichtet 3,1
Prozent.
Interessanter als die kumulierten Zahlen sind die zum Teil sehr grossen Unterschiede in der Raiffeisen-Familie: Steffisburg verzeichnet eine Abnahme der Ausleihungen und Saanenland eine
Zunahme um 12,5 Prozent. Beides hat seinen Grund: Steffisburg vergibt grundsätzlich keine Festhypotheken, obschon diese derzeit hoch im Kurs sind. Und Saanenland weist als zweitkleinste
Raiffeisenbank zwar in Prozent ein starkes Wachstum auf, nicht aber in absoluten Zahlen.
Kundengelder wuchsen stärker als Ausleihungen
Bemerkenswert ist der Umstand, dass die Kundengelder bei den 22 Raiffeisenbanken stärker zugenommen haben als die Ausleihungen. Der Deckungsgrad, der sich aus dem Verhältnis dieser beiden
Werte ergibt, stieg im Schnitt von 89,1 auf 90,3 Prozent. Liegt dieser Wert unter 80 Prozent, wird eine klassische Kreditbank Mühe bekommen, die Kredite zu finanzieren. Die
Raiffeisenbanken Bielersee, Thunersee-Süd, Uetendorf-Süd, Riggisberg und insbesondere die Jungfrau mit einem Deckungsgrad von 65,4 Prozent sind diesbezüglich nicht sonderlich gut
aufgestellt. Zum Vergleich: Die Spar+Leihkasse Gürbetal, die unter den Regionalbanken den tiefsten Deckungsgrad aufweist, kommt auf 80,2 Prozent.
Die zum Teil tiefen Deckungsgrade unterstreichen die Bedeutung des Raiffeisen-Verbunds. Pierin Vincenz, der starke Mann von Raiffeisen Schweiz, begründete den Kauf des Schweizer Geschäfts der Bank Wegelin und die damit einhergehende Gründung der Privatbank Notenstein mit dem Argument der Liquidität. «Die Privatbanken halten immer grössere Barbestände, die sie in einem Umfeld tiefer Zinsen nicht befriedigend bewirtschaften können. Diese Gelder können wir im Retail-Banking einsetzen, um Hypotheken zu finanzieren», sagte Vincenz vor einem Jahr der NZZ.
Rekordhoher Deckungsgrad in der Region Burgdorf
8 von 22 Raiffeisenbanken haben einen Deckungsgrad von über 100 Prozent, darunter die erwähnte Raiffeisenbank Steffisburg dank ihrer restriktiven Kreditpolitik. Spitzenreiter ist in dieser Betrachtung die Raiffeisenbank Region Burgdorf, deren Kundengelder die Ausleihungen um Weiten übertreffen. Für Bankleiter Marc Guggenbühler ist das ein Phänomen, das er sich auch nicht wirklich erklären kann.
Neben dem Deckungsgrad interessiert vor allem das Kosten-Ertrag-Verhältnis, besser bekannt als Cost-Income-Ratio. Eine C/I-Ratio von über 60 Prozent gilt als hoch; eine unter 50 Prozent als sehr
gut. Nur 7 der 22 Raiffeisenbanken haben eine C/I-Ratio von unter 60; nur zwei von unter 50 Prozent: Niedersimmental und Frutigland. Im Vergleich: Von den 18 Berner Banken – von der BEKB
bis zur Spar und Leihkasse Wynigen – haben deren 4 eine C/I-Ratio von unter 50 Prozent.
Hohe Kostenstruktur bei der Raiffeisenbank Kiesental
Ein unvorteilhaftes Kosten-Ertrag-Verhältnis verzeichnen die Genossenschaften Thunersee-Süd, Uetendorf-Thun und Kiesental. Kiesental mit ihren sieben Geschäftsstellen scheint in der Tat ein
Problem zu haben: Eben wurde der Bankleiter entlassen. Verwaltungsratspräsident Peter Burkhalter erklärte dieser Zeitung, dass man unterschiedliche Vorstellungen darüber hatte, wie es weitergehen
soll. Die Bank wolle die Zukunft «mit einer jüngeren marktorientierten Persönlichkeit angehen.»
«Die Nähe zum Kunden ist nicht gratis zu haben»
Müssen die einzelnen Genossenschaften zu viel Geld nach St.Gallen überweisen? «Die von Raiffeisen Schweiz bezogenen Dienstleistungen kosten Geld», gesteht Peter Hunziker. «Wir wägen immer
wieder ab, ob wir eine Dienstleistung günstiger selbst herstellen oder zentral einkaufen.» Zudem verweist der Verbandspräsident auf das engmaschige Filialnetz. «Die Nähe zum Kunden ist
nicht gratis zu haben», meint Hunziker, der neben dem Verband auch die Raiffeisenbank Worblen-Emmental präsidiert.
Punkto Eigenkapital ist Raiffeisen ein Spezialfall
Eine weitere zentrale Grösse bei Banken ist das Eigenkapital. Wobei die Aussagekraft des im Geschäftsbericht ausgewiesenen Eigenkapitals beschränkt ist. Aussagekräftiger wäre das sogenannte
anrechenbare Eigenkapital. Es enthält neben dem Genossenschaftskapital, den allgemeinen gesetzlichen Bankrisiken und dem Jahresgewinn zusätzlich auch die stillen Reserven. Das
anrechenbare Eigenkapital weisen die Raiffeisen-Genossenschaften nicht separat aus. Dies aus dem einfachen Grund, dass die Finanzmarktaufsicht die Eigenmittelausstattung nur auf
Gruppenebene und nicht bei jeder einzelnen Genossenschaft begutachtet. Ein weiterer Punkt, weshalb der Raiffeisen-Verbund insbesondere für die schwächer aufgestellten Banken von grosser Bedeutung
ist.
Erschienen in der BZ am 18. April 2013
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