Im Tessin können nicht nur Rentner, sondern auch Familien Ergänzungsleistungen beantragen. Die Sozialkommission des Nationalrats lehnte den Vorstoss ab, das «Tessiner Modell» auf die ganze Schweiz zu übertragen.
Vor zwei Tagen gab Bundesrat Hans-Rudolf Merz bekannt, wie er im Schnellzugtempo die Familien steuerlich entlasten will. Bei dieser Reform geht es im Wesentlichen darum, die Familien des Mittelstands nachhaltig und substanziell zu entlasten. Ein anderes Ziel verfolgt die Parlamentarische Initiative «Ergänzungsleistungen für Familien»: Sie will die untere Schicht entlasten und die Familienarmut bekämpfen.
Kehrtwende um 180 Grad
Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK) will jedoch von dieser Initiative nichts mehr wissen, nachdem sie sich im zurückliegenden November noch dafür ausgesprochen hatte. Die Vorlage sei zu sistieren, damit die Verwaltung eine Alternative ausarbeiten könne.
Offizieller Hauptgrund für diese Kehrtwendung ist die strittige Frage der Exportierbarkeit der Leistungen. Könnten nämlich auch im Ausland lebende Familien Ergänzungsleistungen beantragen, wäre das mit enormen Schwierigkeiten verbunden. Dann fände sich für dieses Modell kaum eine Mehrheit.
Muss EL exportiert werden?
Somit drängt sich die Frage auf, weshalb denn die Ergänzungsleistungen für Familien auch ins Ausland ausbezahlt werden müssten. Schliesslich erhalten schon heute bedürftige IV- und AHV-Rentnerinnen und Rentner Ergänzungsleistungen, und diese müssen auch nicht ins Ausland exportiert werden. Nationalrätin Thérèse Meyer-Kaelin antwortete gestern auf diese Frage, dass für die Ergänzungsleistungen der IV und AHV im Rahmen der bilateralen Verträge ausdrücklich eine Ausnahmeregelung ausgehandelt worden sei, wonach diese Leistungen nicht ins Ausland exportiert werden müssten. Nach Auffassung gewisser Juristen könnte jedoch diese Ausnahmeregelung für Famlien-Ergänzungsleistungen nicht angewendet werden, erklärte die Freiburger CVP-Nationalrätin achselzuckend. Was heissen will, dass auch sie nicht beurteilen kann, wie weit diese Interpretation den Tatsachen entspricht.
Möglich ist natürlich, dass die Gegner der Vorlage aus dem rechts-bürgerlichen Lager dieses Argument gezielt bemühten, um das Vorhaben zum Scheitern zu bringen.
Dies zumindest findet die SP, die nicht lange auf eine geharnischte Reaktion warten liess. Sie spricht von «fadenscheinigen Argumenten» und kritisiert namentlich die CVP, deren familienpolitische Versprechen als Worthülsen entlarvt seien. «Gerade zur jetzigen wirtschaftlich schwierigen Zeit müssten die Familien mit kleinem und mittlerem Einkommen gestärkt werden. Die Steigerung deren Kaufkraft würde sich sofort positiv auf die Konjunktur auswirken», schreibt die SP.
CVP im Fadenkreuz
Der Angriff auf die CVP ist nicht ohne Brisanz. Schliesslich ist es mit der St.Galler Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz eine CVP-Politikerin, die die parlamentarische Initiative zusammen mit Jacqueline Fehr (SP, ZH) eingereicht hatte.
Mehrere Kantone bieten schon heute Hilfsleistungen an bedürftige Familien, so zum Beispiel Freiburg. Doch am weitesten geht der Kanton Tessin, der Bedarfsleistungen für den Unterhalt von Kindern bis zu 15 Jahren vorsieht.
Die Initianten der Parlamentarischen Initiative wollen das Unterstützungssystem derart ausgestalten, «dass der grösstmögliche Anreiz zur Arbeit besteht». Zum andern soll das System Einelternfamilien besonders berücksichtigen und Familien mit Kleinkindern begünstigen.
Drei Modelle stehen zur Diskussion. Alle drei haben ein Kostendach von weniger als 900
Millionen Franken, wobei die Einsparungen, die bei der Sozialhilfe gemacht würden, nicht berücksichtigt werden.
Erschienen in der BZ am 14. Februar 2009