Zu viel ist ungesund: Das Bedürfnis nach finanzieller Absicherung ist nirgends auf der Welt so ausgeprägt wie in der Schweiz. Über 7000 Franken zahlen die Schweizer jedes Jahr für Versicherungsprodukte. Viele davon sind reiner Luxus. CASH nennt Policen, welche die Mehrheit der Schweizer gar nicht braucht.
Die Schweiz ist Weltmeister. Leider nicht im Fussball, sondern im Bezahlen von Versicherungsprämien. Über 7000 Franken zahlen die Schweizer jedes Jahr für Versicherungen. Die hohen Prämien für die Sozialversicherungen wie AHV, IV und Arbeitslosenversicherungen sind in diesen von der Swiss Re erhobenen Zahlen nicht einmal enthalten. In Grossbritannien, dem Vizeweltmeister, liegen die Pro-Kopf-Ausgaben bei 5033 Franken, also fast um ein Drittel tiefer. Die Deutschen schliesslich, auch hier nicht Weltmeister, geben für Versicherungen nicht halb so viel aus wie die Schweizer: nämlich nur 2543 Franken. Sie liegen im internationalen Vergleich auf dem 13. Rang.
Schon allein aufgrund dieses Vergleichs lässt sich leicht feststellen, dass Herr und Frau Schweizer getrost auf die eine oder andere Versicherung verzichten könnten. CASH zeigt, welche Policen
für einen Grossteil der Bevölkerung unnötig sind.
Zahnversicherung
So, wie man keine brennenden Häuser versichern kann, kann man auch keine kranken Zähne versichern. Lohnt es sich also, jahrelang Prämien für die gesunden Zähne zu bezahlen, um dann später, wenn
die Zähne von der Karies befallen sind, die Krankenkasse zur Kasse zu bitten? Die Frage wäre zu bejahen, wenn die Zahnversicherungen nicht so hohe Selbstbehalte und derart tiefe Leistungslimiten
hätten. Die Zahnversicherung Denta Plus Light von Marktleader Helsana zahlt 75 Prozent der Kosten bis maximal 300 Franken pro Jahr.
Das ist eine Wette, keine Versicherung.
Ausnahme: Die Versicherung ist sinnvoll für Leute, die schon vor Jahren eine Zahnversicherung abgeschlossen haben und nun regelmässig zum Zahnarzt müssen. Sie können die Rechnung machen, ob die
vergüteten Leistungen höher sind als die Summe der Prämien und Selbstbehalte.
Komplementärmedizin
Laut Bundesrat Pascal Couchepin haben 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung eine Zusatzversicherung für Komplementärmedizin abgeschlossen. Das zeigt, wie gross das Vertrauen in alternative
Heilmethoden ist. Doch wer bislang keine komplementärmedizinischen Behandlungen beanspruchen wollte, kann auf die Prämienzahlung verzichten. Die zur Auswahl stehenden Versicherungsinstrumente
decken immer nur einen kleinen Teil der Kosten und haben ein tiefes Kostendach von wenigen Tausend Franken. Hinzu kommt, dass die Kosten der Heiltherapeuten viel tiefer sind als jene der
Schulmediziner. Schliesslich läuft man erst noch Gefahr, dass die Versicherung keine Kostenbeteiligung leistet, weil der behandelnde Therapeut nicht auf der internen Liste figuriert oder die
alternative Heilmethode von der Kasse nicht anerkannt ist.
Ausnahme: Versicherte, die regelmässig den Komplementärmediziner aufsuchen und die entsprechende Versicherung schon früher abgeschlossen haben.
Spitalkostenzusatzversicherung Allgemeine Abteilung ganze Schweiz
Zahlreiche Halbprivatversicherte haben wegen der ständig steigenden Prämien in die kostengünstigere Variante gewechselt - in die «Spitalkostenzusatzversicherung allgemeine Abteilung ganze
Schweiz». Sie waren sich aber kaum darüber im Klaren, dass diese Zusatzversicherung keinen Zusatznutzen bringt. Für Spitalbehandlungen im Wohnkanton kommt die Grundversicherung auf. Das Gleiche
gilt für notfallmässige Behandlungen in einem anderen Kanton oder für operative Eingriffe, die im Wohnkanton nicht durchgeführt werden.
Ausnahme: Sinnvoll für Leute, die an der Kantonsgrenze wohnen und sich unbedingt im Spital des Nachbarkantons behandeln lassen wollen.
Langzeitpflegeversicherung
Der Aufenthalt in einem Pflegeheim ist teuer. Das Renteneinkommen und die Beiträge aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vermögen die Kosten nicht immer zu decken. Für solche Fälle
ist die Langzeitpflegeversicherung gedacht. Sie richtet im Pflegefall ein Taggeld aus. Doch auf das Taggeld sind Pflegepatienten häufig gar nicht angewiesen, da AHV-Rentner Anspruch auf
Ergänzungsleistungen (EL) haben. Die Höhe dieser EL richtet sich nach dem Einkommen und den Ausgaben. Je höher das Taggeld der Krankenzusatzversicherung, desto geringer die Ergänzungsleistung.
Allerdings müssen zuerst Teile des Vermögens aufgebraucht werden, ehe Ergänzungsleistungen gesprochen werden.
Ausnahme: Wohlhabende Rentnerinnen und Rentner, die im Interesse ihrer Erben verhindern wollen, dass das Vermögen bei einem Pflegeheimaufenthalt aufgebraucht wird.
Einfacher Diebstahl auswärts
Was aus einem Haus gestohlen wird, ist in der Grunddeckung der Hausratsversicherung gedeckt. Und wenn das Auto gestohlen wird, ist das Sache der Kasko- oder Teilkaskoversicherung. Welche
Gegenstände könnten einem also auswärts gestohlen werden? Pelzmäntel werden eher besprayt als gestohlen, entwendetes Bargeld ist eh nicht versichert, und viel anderes kostet weniger als der
Selbstbehalt von 200 Franken. Über 50 Prozent der von den Versicherungen vergüteten Diebstähle betreffen Velos, Ski oder Snowboards. Die maximal versicherte Schadensumme beträgt 2000 bis 3000
Franken pro Jahr, und die Jahresprämie kostet um die 100 Franken. Wenn einem alle zehn Jahre ein Drahtesel im Wert von 800 Franken gestohlen wird, ist die Rechnung nur für den Versicherer
aufgegangen.
Ausnahme: Kinderreiche Familien, wo jedes Mitglied regelmässig mit dem Velo unterwegs ist. Bei der heutigen Diebstahlrate könnte sich in solchen Fällen der Versicherungsschutz einfacher Diebstahl
auswärts zumindest vorübergehend lohnen.
Insassenversicherung
Mit einer Insassenversicherung werden die Heilungskosten von Mitfahrern gedeckt, unabhängig davon, ob der Fahrer den Unfall verschuldet hat oder nicht. Da aber alle Schweizer obligatorisch gegen
Krankheit und Unfall versichert sind, ist die Insassenversicherung überflüssig. Häufig wird kolportiert, wer regelmässig Ausländer herumchauffiere, sei mit der Insassenversicherung gut beraten.
Dies ist insofern übertrieben, als Unfallversicherungen keine schweizerische Erfindung sind.
Ausnahme: Autofahrer, die regelmässig Leute ohne Unfallfallversicherung mit sich führen.
Annullationskostenversicherung
Wenn der Sinn einer Versicherung darin besteht, den Erdenbürger bei Eintreten eines möglichen Ereignisses vor dem finanziellen Ruin zu schützen, dann ist die Annullationskostenversicherung
sinnlos. Denn die Reise ist ja bereits bezahlt. Die Krankheit oder der Todesfall in der Familie wird höchstens zum Verzicht auf die Reise, aber nicht zum finanziellen Fiasko führen. Die
Annullationskostenversicherung ist daher eher ein «Trösterli» als eine Versicherung. Besser sind komplette Reiseversicherungen, bei denen grosse Risiken versichert sind. Zu denken ist an die
Assistance. Die Rückführung von Personen oder Fahrzeugen kostet Tausende von Franken. In solchen Reiseversicherungen sind die Kosten für die Annullation auch versichert.
Ausnahme: Reisewillige mit kränkelnden Kindern, sofern die Kosten für die Annullation andersweitig nicht versichert sind.
Reiseersatzkostenversicherung
Wenn eine Reise abgebrochen werden muss, zahlt die Annullationskostenversicherung nur die Kosten für die noch nicht bezogenen Leistungen. Mit der Reiseersatzkostenversicherung wird jedoch die
ganz Reise vergütet, auch wenn man von der dreiwöchigen Rundreise schon zwei Wochen unterwegs war. Doch es gibt Einschränkungen: So zahlt die Reiseersatzkostenversicherung nicht, wenn der
Versicherte wegen eines Todesfalls zu Hause die Reise abbrechen muss.
Ausnahme: Keine.
Glasversicherung
Macht der Mieter das Lavabo kaputt, ist das Sache der Privathaftpflichtversicherung. Hauseigentümer zahlen die Glasschäden dagegen selber. Die zerbrochene Wohnzimmerscheibe wird die Familie
jedoch kaum ruinieren. Das gespaltene Lavabo kommt teurer. Aber auch solche Schäden sind finanziell verkraftbar. Zudem ist nur fest installiertes Glas versichert, nicht jedoch Glasgeschirr oder
Glasfiguren.
Ausnahme: Hauseigentümer mit dem Hang zu teuren Keramikplatten.
Gebäudehaftpflichtversicherung
Der Dachziegel fällt dem Briefträger auf den Kopf, der morsche Baum stürzt aufs Autodach des Nachbarn, der Besucher rutscht auf dem glitschigen Gartenweg aus: Das sind alles klassische Szenarien,
mit denen Versicherungsagenten den Hauseigentümern eine Police verkaufen wollen. Dennoch ist die Gebäudehaftpflichtversicherung nicht nötig. Die genannten Risiken sind durch die gewöhnliche
Privathaftpflichtversicherung gedeckt, solange das Einfamilienhaus vom Hauseigentümer bewohnt ist. Das Gleiche gilt für Mehrfamilienhäuser bis drei Wohnungen und ohne gewerblichen Betrieb.
Ausnahme: Hauseigentümer, die das Eigenheim vermieten. Die Privathaftpflicht zahlt nur, wenn der Besitzer selber im Haus wohnt.
Sparversicherung
Die Versicherung sollte man kündigen können, wenn man den Versicherungsschutz nicht mehr braucht. Eigentlich eine Binsenwahrheit - und doch werden Sparversicherungen en masse verkauft, obschon
sie diesem Anspruch nicht genügen. Sparversicherungen sind Zwitter: halb Risikoschutz, halb Sparvehikel. Beides zusammen verträgt sich schlecht. Zudem sind Sparversicherungen langfristig
ausgerichtet. Man zahlt also auch dann noch Prämien für den Todesfallschutz, wenn die Kinder ausgeflogen sind und die Frau wieder voll erwerbstätig ist. Wird die Sparversicherung vorzeitig
gekündigt, hat man einen hohen Rückkaufsverlust in Kauf zu nehmen. Die reine Risikotodesfallversicherung ist daher günstiger, flexibler und transparenter.
Ausnahme: Menschen, die sich nicht zutrauen, regelmässig in den Fondssparplan einzuzahlen. Deshalb wollen sie sich einen Sparplan auferlegen. Allerdings sollten dann die Prämien bis Vertragsende
bezahlt werden.
Kombinierte Erwerbsunfähigkeitsversicherung
Wer keiner Pensionskasse angeschlossen ist, hat bei einer Erwerbsunfähigkeit unter Umständen ein zu kleines Renteneinkommen. Man wäre dann auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Wer das vermeiden
will, schliesst die Erwerbsunfähigkeitsversicherung ab. Häufig wird dieser Versicherungsschutz zusammen mit einer Todesfallversicherung und einem Sparprozess in ein kombiniertes Produkt verpackt.
Ein solches Gesamtpaket ist teuer und unübersichtlich. Ausserdem verändert sich im Verlauf der Zeit das Bedürfnis nach einem Risikoschutz.
Ausnahme: Für Bekannte und Freunde von Versicherungsagenten ist die kombinierte Erwerbsunfähigkeitsversicherung das Beste, um ihnen zu fetten Provisionen zu verhelfen.
Kinderversicherung
Kinderversicherungen sind nicht der grosse Renner. Dafür gibt es einen guten Grund: Sie sprengen das durchschnittliche Haushaltsbudget. Dies müsste nicht sein. Denn die meisten
Kinderversicherungen sind mit einem unnützen Sparplan kombiniert. Zudem sind sie extrem kompliziert. Aber auch die günstigeren, reinen Kinder-Risikoversicherungen ohne Sparplan sind nicht über
jeden Zweifel erhaben. Denn wenn ein Kind schwer erkrankt oder verunfallt, wird es lebenslänglich eine Invalidenrente erhalten. Falls diese nicht ausreicht, werden Ergänzungsleistungen
ausbezahlt. Die Rente der Kinderversicherung wird höchstens dazu führen, dass das Kind tiefere oder überhaupt keine Ergänzungsleistungen erhält.
Ausnahme: Wohlhabende Eltern, die dem Kind unter keinen Umständen zumuten wollen, nach einem Unfall oder einer schlimmen Krankheit zeitlebens auf Ergänzungsleistungen angewiesen zu sein.
Die Versicherer verkaufen jedoch auch Produkte, die eher eine Wette sind als eine Versicherung. Diese Wette lautet: Wird der allenfalls entstehende Schaden teurer sein als die Summe der
Versicherungsprämien? Wie bei anderen Wetten lautet die vielsagende Antwort: vielleicht, vielleicht auch nicht. Das gemeinsame Charakteristikum solcher Wettenversicherungen besteht darin, dass
man den allfälligen Schaden selber berappen könnte, ohne deswegen in finanzielle Not zu geraten. Krasses Beispiel dieser Versicherungsgattung: eine Zahnversicherung mit einer Leistungslimite von
300 Franken.
Erschienen im CASH am 30. November 2006